der Ernennung des Grumsin zum Welterbe, dem 25. Juni 2021, steht Jürgen Köhler an einem Hoftor und bringt ein Plakat an. Es ist nicht sein Haus, sondern das von Freunden, die arbeiten sind. Das Plakat soll aufmerksam machen auf diese Website. In Sichtweite feiern Eingeweihte unter Sonnenschirmen den Ehrentag und der Bürgermeister der Stadt Angermünde erhält Fördergelder aus der Hand der Staatsekretärin. Im offiziellen Schaukasten für Dorfnachrichten hängt noch immer die Mitteilung des Ortsbeirates an die Bewohner: „Die geplante Fest-Veranstaltung im Juni 2021 anlässlich des zehnten Jahrestages wurde abgesagt…”

„Vom Besuch der Staatssekretärin hatte ich kurz zuvor von einem anderen Bewohner erfahren, der es zufällig im Radio gehört hatte. Unter normalen Umständen würde man sagen: wenn der Ortsbeirat eine offizielle Mitteilung in den Schaukasten hängt, die Veranstaltung ist abgesagt, dann kann man darauf vertrauen. Aber in unserem Dorf ist nichts normal. Nach ein paar Jahren weiß man das einzuschätzen, deshalb waren die Plakate sicherheitshalber vorbereitet. Aber genau darum geht es – um Vertrauen.

Zwei Tage zuvor hatte ich meinen letzten Arbeitstag. Ich bin Lehrer und habe die letzten acht Jahre eine Abteilung mit 60 Lehrern und 1200 Schülern geleitet. Ein kluger Mann hat mal ein Buch geschrieben mit dem Titel: „Vertrauen führt.” Das hat mich geprägt und daran habe ich mich immer gehalten. Ich habe meinen Kollegen vertraut und es mir war immer wichtig, dass sich jeder angenommen und wertgeschätzt fühlt und sich alle an die gemeinsam erarbeiteten Absprachen halten. Daher haben auch sie mir vertraut. Ich wusste, meine Abteilung und ich werden immer nur so gut sein wie jeder einzelne Lehrer.

Als ich vor zwölf Jahren hierher kam, hatte ich die allerbesten Absichten. Ich wollte friedlich vor mich hinleben und mich ins Dorf integrieren. Ich dachte, ich weiß wie das geht. Ich bin in einem Dorf groß geworden. Ich war zu allen nett und bot beim Dorffest meine Hilfe an. Ich ging zu den Ortsbeiratssitzungen, trank ab und zu mit diesem oder jenem ein Bier und dachte es geht gut voran.

Im Zuge des Welterbes und dem zunehmendem Tourismus wurden wir Bewohner zu vielen Treffen eingeladen: Partizipation, Mediation, Konzeption – solche Veranstaltungen sind mir wohl vertraut und weil ich auf deren Effizienz vertraute habe, bin ich überall hingegangen. Meistens war ich der einzige oder einer von wenigen. Wahrscheinlich wussten die Anderen schon lange, was ich erst lernen musste: Man darf etwas sagen – nicht zu viel – und dann bekommt man erklärt, dass man eigentlich nichts sagen sollte, weil man doch sicher nicht die Lebensgrundlage von Anderen zerstören möchte und letztlich doch einsehen sollte, wie glücklich man sich schätzen kann. Dann liest man zwei Tage später in der Zeitung, wie phantastisch die Entwicklung ist, dass es aber immer noch einige Menschen gibt, die das Offensichtliche einfach nicht verstehen.

Genauso war es auch am 25. Juni. Pünktlich am Montag konnte ich in der MOZ lesen „von der offenen herzlichen Gastfreundschaft für die leider nicht alle stehen” und „wie ein Wald eine ganze Region verändert.” Es ist nicht der Wald, der die Region verändert. Der Wald muss herhalten für die Ambitionen von Menschen, die mit aller Macht versuchen die Region zu verändern, weil sie nicht darauf vertrauen, dass die Menschen in dieser Region wissen, was für sie gut ist.

Ich habe lange nichts gesagt. Ich bin ein konsensorientierter Mensch. Und ich war neu. Da hält man sich erst mal zurück. Aber dann habe ich erlebt wie verleumderische Briefe geschrieben wurden von Amts- und Funktionsträgern, wie Menschen eingeschüchtert und ins Rathaus zitiert wurden, wie versucht wurde gemeinnützige Arbeit mit allen Mitteln zu behindern, weil man Protest dahinter vermutete. Das alles sind Mechanismen, die ich bisher nur aus Geschichtsbüchern kannte und wovor ich meine Schüler immer gewarnt habe. Darin liegt das Problem, nicht im Tourismus.

Vertrauen entsteht aus Glaubwürdigkeit. Und ich glaube nicht, dass man Akzeptanz erreicht, wenn man die eigenen Nachbarn und Mitmenschen als Feinde betrachtet und behandelt. Über den Tourismus könnte man streiten, aber wenn man nicht mal mehr streiten kann, dann ist der Punkt erreicht, wo man etwas tun muss. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem Leben mal in eine Situation kommen würde, in der ich mir nicht mehr anders zu helfen weiss, als mit einer Website an die Öffentlichkeit zu gehen und Plakate aufzuhängen. Aber vielleicht ist das ja jetzt meine Aufgabe: hier dafür zu kämpfen, dass Menschen nicht das Vertrauen in sich selbst verlieren. Vertrauen ist der Kitt einer Demokratie und eines Dorfes. Wenn das verloren geht, verlieren alle.